Erlebnisbericht Gilde 2013

Peter Bendfeld hat mir die nachfolgenden Zeilen von seinem Besuch bei der Gilde 2013 zugemailt. Ich möchte diesen schönen Bericht hier für alle veröffentlichen.

Die Gilde macht süchtig.

In Oldenburg, dort oben auf der Halbinsel Wagrien, im Osthol-steinischen, ist der Hund begraben. Und meine gesamten Ah-nen und Urahnen auch. Die ganze Gegend stand noch nie im Ruf, besonders fortschrittlich oder modern zu sein. Orte wie Schwienkuhl oder Gut Koselau wurden und werden noch nicht einmal in den großen Enzyklopädien, in denen sonst jeder Kleinkrams verzeichnet ist, genannt.

Von berühmten Persönlichkeiten der Weltgeschichte, die aus diesem Winkel kamen oder hier gewirkt haben, berichten nicht einmal die Legenden.

Klaus Störtebecker mit seinen Liekedeelern wird sicherlich das ein oder andere Mal an der Küste angelandet sein, um Nach-schub für seine Crew zu besorgen. Aber nicht einmal das ist vernünftig belegt.

Der Hinweis, dass die Seeräuber beim Putloser Schloss einen unterirdischen Gang angelegt hätten, hat den gleichen Wahr-heitsgehalt wie die alten Spukgeschichten vom Wienberg und der Putloser Heide, die meine Oma mütterlicherseits an Schummerabenden zu erzählen wusste.

Es war und ist alles lögenhaft to verteln.
Oldenburg wär nicht der Rede wert, gäbe es die Gilde nicht.

Das Gildefest makiert in dem kleinen Städtchen den Höhepunkt des Jahres. Darüber gibt es keine zwei Meinungen. Da geht es rund. Da dreht sich alles um den zentnerschweren doppelköpfigen Gildevogel, der mit Zepter und Reichsapfel in luftiger Höhe über dem Schützenplatz thront und das Gildetreiben so lange beäugt, bis man ihn mit den alten Donnerbüchsen gefleddert und von der Stange geknallt hat. Das kann dauern, denn der preußische Doppeladler ist nicht von Pappe.

Die Gilde ist kein gewöhnliches Vogelschießen, wie es landauf, landab von unzähligen Schützenvereinen inzwischen mehr schlecht als recht gepflegt wird. Es besteht leider kein Zweifel daran, dass die hohen Zeiten der Schützenfeste mangels Nachwuchs und schwindendem Interesse der Öffentlichkeit endgültig vorbei sind. Nicht so in Oldenburg in Holstein. Nachwuchssorgen kennt man nicht.

Die Gildebrüder behaupten mit Fug und Recht, dass die St. Johannis Toten- und Schützengilde von 1192 nicht nur die älteste Gilde Deutschlands ist, sondern der ganzen Welt. Und das will was heißen.

Trotz der verheerenden Stadtbrände, die wie eine apokalypti-sche Heimsuchung alle paar Jahrhunderte in der Stadt jeweils das wieder komplett in Schutt und Asche legten, was die Bürger mühsam zwischenzeitlich aufgebaut hatten, lässt sich die einzigartige Tradition der Gilde dokumentarisch belegen. Das Alter der Gilde ist eine Sache. Damit kann man angeben und Eindruck schinden bei Touristen und Historikern.

Etwas gänzlich anderes sind die tradierten, aber überaus lebendigen Verhaltensweisen der Gildebrüder und Gilde-schwestern. Sie sind atemberaubend modern.

Das liegt an der inneren Struktur und der Verfasstheit der Gil-de, die ihres Gleichen suchen.

In der Gilde gilt das Rotations- und Lernprinzip. Da kann keiner unvorbereitet, nur weil er vielleicht klug reden und Leute beschwatzen kann, Major oder gar erst Ölst werden. Da gehört mehr dazu. Ohne eine langjährige Mitgliedschaft und ein langjähriges ehrenamtliches Engagement von der Pike auf läuft nichts. Es geht alles schön demokratisch der Reihe nach.

Wer mal ganz oben landen will, muss sich in den arbeitsreichen Stationen auf dem Weg dorthin bewährt und ausgezeichnet haben. Da trennt sich schnell die Spreu vom Weizen.

Eintagsfliegen wie in der Politik, die durch große Worte hochgespült werden, gibt es in der Gilde nicht.

Auch das vor einigen Jahren von den Grünen propagierte Rotationsprinzip entpuppte sich als billiger Abklatsch, der sich nicht als Stabilisator zum Wohle des Landes, sondern als ver-brämte Versorgungsmaschinerie für die Funktionäre und Parlamentarier entpuppte.

Die altbewährten demokratischen Strukturen der Gilde könnten zweifelsohne Vorbildcharakter für moderne Staatswesen haben. Sie sind geeignet, immer dort Pate zu stehen, wo Verantwortung, Partizipation und Integration gefordert sind. Kurzum: immer dort, wo man miteinander auskommen und gemeinsam etwas erreichen möchte.

Miteinander auskommen geht am besten, wenn man dieselbe Sprache spricht. Gildebrüder dutzen sich. Auf dem Platz, wäh-rend der Gilde und auch hinterher. Damit unterscheidet sie sich von vielen Vereinen und Organisationen.

Während der Gilde snakt man platt. Dat wär all jümmer so.

Und so schall dat ock blieben.

Wer als Kind die Gilde erlebt hat, vergisst sie nicht. Egal, wo er wohnt und wie weit er gereist ist. Es gibt eben Dinge, die prägen sich unlöschbar ein in die tiefsten Winkel unseres Erin-nerns.

Als Junge konnte ich mir partout nicht vorstellen, dass ein vernünftiger Mensch auch nur ein Mal im Leben das Gildefest versäumen könnte. Leider kommt es oftmals anders als man denkt.

Doch eines bleibt. Jeder echte Oldenburger trägt von klein auf einen Film im Kopf mit sich herum, den er sofort abspult, wenn er irgendwo in der Fremde einen Oldenburger trifft, oder nur die Rede auf Oldenburg kommt. Da ist das Bild des majestätischen Gildevogels hoch oben auf der Stange, da sind die Donnerbüchsen auf den Schießbrettern, da sind Knall und Pulverdampf und die beflaggten Festzelte im Rund des Schützenplatzes.

Und da ist natürlich der Festumzug durch die Stadt, mit den fröhlichen Gildebrüdern im schwarzen Gehrock und der roten Rose an Revers und Zylinder.

Vor 50 Jahren bin ich von zu Hause weg. Und 50 Jahre habe ich mir vorgenommen, die große Gilde zu besuchen.

In diesem Jahr hab` ich es endlich gepackt. Ohne große Vorbereitung. Ganz spontan. Gleich Montag früh wollt` ich da sein, um den Umzug mitzukriegen.

50 Jahre ist `ne lange Zeit. Da kann sich viel verändern.

Mit Spazierstock und Zylinder

Ich stell mich also bei Essling an die Ecke, wie ich es als Junge früher auch gemacht hab`. Bei Essling gab es damals, genau wie bei Klacks (August Eberhardt), fast alles. Essling haben sie inzwischen platt gemacht. aber nicht aufgeräumt.

Und dann kam der Festumzug. Glaubte ich. Doch es kam nur ein kleiner Leutnant. Der stolzierte mit gezücktem Säbel und wichtiger Miene vor einem Zweispänner her. Auf dem Planwa-gen saßen die Metusalems der Gilde und höchten sich eins, weil sie kutschiert wurden und nicht laufen mussten und offensichtlich einen ordentlichen Getränkevorrat an Bord hatten.

Der stolze Leutnant mit befransten Schulterklappen, die ge-schmückten Ackergäule und der Planwagen mit seiner Alters-fracht drehten eine Runde nach der anderen um den Markt-platz, sodass man keinen Sinn in dem eher spärlichen Schau-spiel sehen konnte, wäre da nicht von irgendwoher schon das Pfeifen und Trommeln der Spielmannzüge zu hören gewesen.

Musik schafft eine Spannung und macht das Warten erträglich.

Und dann kamen sie auch.
Genau wie früher.
Genau so hatte ich es in Erinnerung.

Männer in schwarz. Allesamt. Die meisten in Gehrock und Zy-linder mit den beiden Rosen. Bei näherem Hinsehen erkannnte man, dass viele Gildebrüder wohl doch noch ihren alten Konfirmations- oder Hochzeitsanzug wiederbelebt hatten. Das macht aber nichts. Im Gegenteil. Bei aller Einheitlichkeit entdeckt man eine Nuancenvielfalt, die dem Ganzen einen besonderen Charme verleiht.

Der Umzug sah ganz einfach nobel aus.
Das hat Stil.

Nichts gegen die phantasievollen, meistens ordenüberladenen, grünlichen Schützenuniformen anderer Vereine. So mögen die Rheinländer im Karneval rumlaufen. Das ist nichts für uns.

Das Gesamterscheinungsbild der Oldenburger Gilde ist einfach nicht zu toppen. Unverzichtbar für jeden Gildebruder ist natür-lich auch der Spazierstock.

Das synchrone Klacken der Stöcke auf dem alten Straßenpflaster gibt den Takt des Gleichschrittes an, mit dem die Gildebrüder vorbeimaschieren. Vorbei stolzieren! Denn sie gehen nicht gekrümmt und schon gar nicht wackelig. Nein, sie defilieren förmlich in aufrechter Haltung, diszipliniert, selbst-sicher und mit zufriedener Miene durch die Stadt. Da bleibt genug Raum und Zeit, um nach links und rechts zu grüßen und mit den Bekannten unter den Zuschauern ein herzliches Wort zu wechseln oder eine junge Frau für kurze Zeit lachend einzubinden in den Festumzug. Es scheint ein endloser Lindwurm zu sein, der sich vom Markt kommend an uns vorbei in die enge Schmützstraße schiebt.

Vorne weg der Cornet mit der Fahne, gefolgt von einem, der ein ganzes Silberbesteck durch die Stadt schleppt. Das muss wohl so sein.

Bei der Gilde wird um Ruhm und Ehre und um die Königswürde geschossen. Nicht um Preisgelder und große Gewinne. Als Anerkennung und Beleg für einen trefflichen Schuss gibt es traditionell einen Silberlöffel. Das ist alles penibel geregelt und ganz genau zugeordnet.

Die Suppenkelle ist für den Königsschuss. Das ist klar. Für eine erlegte Zitrone gibt es immerhin noch einen Teelöffel.

In jeder Zeltgemeinschaft werden die erschossenen Gildelöffel ausgelassen gefeiert und wie der Heilige Gral gepflegt und be-hütet.

Auch die Reihenfolge im Zug ist offensichtlich genau fest-gelegt.

Da hat jeder Funktionsträger seinen angestammten Platz. So wissen König, Eldermänner, der Herr Major und all die anderen, wo sie hingehören. Über 1000 Mitglieder hat die Oldenburger Gilde. Die Teilnahme am Umzug ist Ausdruck eines aktiven Gildelebens und liebgewonnene Pflicht der Aktiven. Dabeizusein ist ganz einfach Ehrensache.

Touristen und zufällige Beobachter des Umzuges könnten leicht den Verdacht hegen, dass man sie reinlegt, weil der Zug schier kein Ende nehmen will. Da alle einheitlich gekleidet sind, würde es kaum auffallen, wenn die Gildebrüder immer nur im Kreis gingen. Das hat man in Oldenburg nicht nötig. Der große Festumzug ist das Glanz- und Paradestück der Gilde.

Dazu gehören selbstverständlich auch die farbigen Abordnun-gen befreundeter Gilden aus dem In- und Ausland.

Und last but not least gehören die farbenfrohen Spielmannzüge, die in gebührendem Abstand zueinander den Gildebrüdern den Marsch blasen, zum Festumzug.

Am Schwanz des Zuges ging es schon immer ein wenig anders zu als im gesitteten Marschieren der Vordermänner. Hier finden sich traditionell die Originale der Gilde und die ausgelassenen Brüder zusamen, um den ein oder anderen Scherz auszuhecken. Sei es, dass sie unbedingt dem Bürgermeister in Gildeangelegenheiten auf die Sprünge helfen müssen oder den Text der neuen Stadthymne, aus der sich ohnehin keiner einen rechten Reim machen kann, persiflierend auseinandernehmen und umdichten. Für solche Großtaten gibt es hinterher symbolisch eins auf die Finger, wenn man vor den Alten Rede und Antwort stehen muss.

Egal, wie lang der Umzug ist. Nach 50 Jahren entdeckt man kaum noch bekannte Gesichter. Also schließe ich mich ganz hinten an und wandere mit hinaus zum Gildeplatz, um das Schießen mitzuerleben.

Doch vorher ist eine Runde um den ganzen Schützenhof mit allem Drum und Drann angezeigt. Da hat sich viel getan in den vergangenen Jahrzehnten. Früher waren die Zelte noch so angeordnet, dass sie den Gildebrüdern jederzeit einen freien Blick auf Vogel und Schützen erlaubten. Das hatte was.

Das geht heut leider nicht mehr. Die Gilde ist ja größer geworden und neue Zeltgemeinschaften wurden gegründet. Die Zeltstadt bildet heute ein eigenes Rondel. Inmitten dieses Zirkels ist eine stabile überdachte Bühne für Proklamationen, Ansagen, kleine Aufführungen und natürlich für die Musikanten errichtet, die hier kräftig ins Horn blasen können, auch wenns mal regnet.

In diesem Jahr (2013) war Gildewetter. Einigermaßen trocken und nicht zu heiß. Da kann man gut und gern auch unter freiem Himmel sitzen. So hatten alle Zeltgemeinschaften kurzerhand ihr Anwesen um bunte Kaffeetafeln erweitert.

Leider vermisste man bei einigen Zelten jedlichen Charme. Das Spiel mit Fahnen, Farben und Frohsinn als freudiger Ausdruck eines fröhlichen und festlichen Miteinanders ist noch ausbaufähig. So stilvoll der Umzug, so halbherzig präsentierten sich einige Zeltgemeinschaften.

Die Gilde hat für jede Aufgabe einen verantwortlichen Funkti-onsträger. Sogar einen Splitterkieker gibt es hier. Das kennt sonst keiner auf der Welt. Bei der Gilde klappt es gewaltig. Wohin man sieht. Alles ist von unsichtbarer Hand bestens organisiert. Da könnt es vielleicht nützlich sein, auch einen Quartiermeister zu benennen, der ein besonderes Händchen für Stilfragen, für Form und Farbe, hat. Der könnt dann auch den Zeltgemeinschaften die eigensinnigen Fisematenten aus-treiben.

Frauen können das. Aber so modern, um eine Frau in höchste Ämter zu berufen, ist die Gilde wohl doch noch nicht. Oder?

Inzwischen füllten sich die Zelte und Kaffeetafeln mit den Umzüglern. Die Frauen schleppten Kaffee, Kuchen und Torten herbei. Das kann gemütlich werden.

Es ist ein wenig irritierend, wenn man nach so langer Zeit eine Platzrunde dreht und noch eine und dabei kein bekanntes Ge-sicht entdeckt. Die meisten der Gildebrüder sind ohnehin viel jünger als ich. Das ist an sich sehr erfreulich und unterscheidet die Oldenburger Gilde wohltuend von all den anderen Gilden, Schützenvereinen, Organisationen und auch von den Parteien. All diesen laufen und sterben die Mitglieder weg, und es kommen keine Jungen dazu. Nur die Gilde ist augenscheinlich jung geblieben.

Inzwischen hatte das Schießen begonnen. Das war Musik in meinen Ohren. Das ist einzigartig. Das muss man mit eigenen Augen und Ohren gesehen und gehört haben. Das Krachen der großkalibrigen Donnerbüchsen zieht jeden magisch an. Das hier sind keine Videospiele oder illusionäre Internetballereien. Hier geht es richtig zur Sache. Allein der Geruch des Pulverdampfes, der sich nach jedem Knall in einer kleinen weißen Wolke über dem Hahn verflüchtigt, kann süchtig nach der Gilde machen.

Aus den Lautsprechern dröhnten bereits die plattdeutschen Ausrufe über das Gelände.

Nummer 45 fifundviertig – Hermann M.
Nummer 46 sösundviertig – Karl L.
Nummer 47 sömundviertig – Gustav N.

Was so viel heißt wie: Fertigmachen zum Schießen. Da wurden Namen aufgerufen, die ich von früher kannte: Landt, Bahr, Höft, Landschof usw. So hießen auch einige meiner alten Schulfreunde.

Doch die jungen Burschen, die unter den aufgerufenen Num-mern dann an die Donnerbüchen eilten, entstammten einer anderen Generation.

Als dann statt Hans Peter S., den in Oldenburg eigentlich jeder kennen müsste, ein bärtiger Jungmann ans Schießbrett trat, nahm ich mir vor, den Jungschützen anschließend ins Gebet zu nehmen, um zu erfahren, ob er nur zufällig den gleichen Namen trage oder vielleicht doch mit „Stormi“ verwandt sei. Der Bärtige entpuppte sich in der Tat als dessen Sohn, der nur für seinen Vater geschossen hatte. Das begreife wer will. Der Alte ist noch nicht mal ganze 70. Da schmeißt man doch noch nicht die Flinte ins Korn.

Der Sache musste ich auf den Grund gehen.

Ich fand meinen Schulkameraden im zweiten Zelt, gleich links vom Eingang. Anhand der Bilder und Fotos, die hier überall aufgehängt waren, konnte man schnell ergründen, dass hier eine alte, wenn nicht sogar die älteste Zeltgemeinschaft der Gilde, ihr Quartier aufgeschlagen hatte.

Das gab ein Hallo und Geklopfe auf Schulter und Rücken und sofort ein Bier in die Hand. „Schön dass Du da bist Peter. Alle man herhören: Das ist mein alter Schulfreund Peter B. Der kriegt jetzt Kaffee und Kuchen bei uns.“

Dann wurden die Anwesenden reihum kurz vorgestellt.

„Das ist meine Frau. Und das ist… und das … und der mit dem Bart und Brustschild, ist mein Sohn. Aber den kannte ich ja schon.

Bei solch einer Begrüßung fühlt man sich plötzlich wieder zu Hause. Von dem kleinen Elternhaus in der Burgtorstraße bis hier zur Gilde bedurfte es nur eines Wimpernschlages, um ein halbes Jahrhundert zu überbrücken.

Die Zeltgemeinschaft entpuppte sich als zentraler Umschlags-platz für Menschen, Meinungen und alles Mögliche. Es schien, als habe der ganze Ort sich verabredet, innerhalb kürzester Zeit hier aufzutauchen.

Es war ein Kommen und Gehen, und überall wurden scherzhafte Bemerkungen, witzige Andeutungen und Kommentare angebracht.

Den Sohn unseres alten Hausarztes, der mich schon eine ganze Zeit verstohlen musterte, kannte ich nur vom Hörensagen. An seinen Vater hingegen konnte ich mich noch sehr gut erinnern.

Über Jahre besuchte und betreute Dr. R. auf seiner wöchentli-chen Hausbesuchertour auch meine Mutter. Die beiden ver-standen sich gut, sodass der Hausbesuch bald einem einge-spielten Ritual glich. Eigentlich sprachen sie mehr über Gott und die kranke Welt, als über Krankheiten. Als dann Dr. R. plötzlich verstarb, mochte sich meine Mutter nicht mehr an einen jungen Nachfolger gewöhnen und ließ es dabei be-wenden.

Vergessene Geschichten lebten mit altbekannten Gesichtern wieder auf und wurden quicklebendig. Plötzlich war man wieder der Spatzenschreck von früher und bekam seine alten Heldentaten brühwarm serviert.

Schulkameraden standen urplötzlich vor einem und schauten genau so verblüfft wie man selber. „Altes Haus, das darf doch nicht wahr sein, erinnerst Du Dich noch an … Der steht da hinten.“

Das Zelt entpuppte sich überdies als wahre Zeitmaschine, bei der das Donnern der Büchsen hier und heute die Erzählungen aus einem ganzen halben Jahrhundert umrahmten und dafür sorgten, den Augenblick in einer nie gekannten lebendigen Fülle zu genießen.

Auch das ist Gilde.
Die Gilde ist einzigartig.
Sie macht ganz einfach süchtig.
Wer einmal rückfällig wird, ist verloren.
Nächstes Jahr um Johanni komm ich wieder vorbei.

Ehrenwort.

Vielleicht findet sich ja wieder eine Zeltgemeinschaft, die sagt:
„Bi uns gifft dat Kaffee und Koken und een Schnaps hebt wie ook.“

 

Hinterlasse eine Antwort